Systemische Therapie nach M. Bowen (Bowen Family Systems Theory)

In jeder Familie sind die einzelnen Familienmitglieder emotional eng miteinander verknüpft. Oftmals fühlen sich einzelne Mitglieder distanziert oder von ihrer Ursprungsfamilie abgeschnitten, aber das ist mehr Gefühl als Wirklichkeit. Familienmitglieder suchen gegenseitige Aufmerksamkeit, Anerkennung, Unterstützung und reagieren auf gegenseitige Bedürfnisse, Erwartungen und Enttäuschungen. Verbundenheit und Reaktivität machen das Funktionieren der Familienmitglieder eng voneinander abhängig. Eine Veränderung im Funktionsniveau einer Person ist vorhersehbar gefolgt von reziproken Veränderungen im Funktionsniveau der anderen Familienmitglieder. Dr. Murray Bowen war ein amerikanischer Psychiater, der in den 1950er Jahren an der Menninger Klinik in den USA arbeitete und diese Theorie entwickelte. Er gilt als einer der Pioniere der systemischen Therapie.

In Gegenwart wirtschaftlicher, sozialer oder psychischer Stressoren erhöht sich der Druck auf das Familiensystem und die Verbundenheit ihrer Mitglieder wird als belastender erlebt als in ruhigeren Zeiten. Eines ihrer Mitglieder fühlt sich schließlich überfordert, isoliert sich oder gerät außer Kontrolle. Dies ist ein reziproker Prozess: eine Person gibt Funktionsfähigkeit, d.h. Kontrolle über ihr Denken und Entscheidungsfähigkeit auf, welches eine andere Person dafür übernimmt. Das Familienmitglied, das sich am meisten anpasst, absorbiert damit die Ängste in diesem System. Dieses Familienmitglied ist besonders vulnerabel für die Entwicklung von klinischen Symptomen, wie depressivem oder süchtigem Verhalten, der Bildung außerehelicher Beziehungen oder der Entwicklung von körperlichen Erkrankungen.
Um ein Beziehungs- oder Familiensystem zu verstehen, sammle ich als Therapeutin gemeinsam mit dem Klienten Informationen über drei Generationen der Familie, die das „emotionale Feld“ eines Klienten, eines Paares oder der Kernfamilie ausmachen. Dies erfolgt durch die Erstellung von Familiendiagrammen. Gemeinsam werden nun die Familienprozesse beleuchtet und der Klient lernt, ein Verständnis dafür zu bekommen, welche Rolle er darin spielt. Je intensiver der Klient versteht, wie ein System funktioniert und wie er selbst darauf reagiert, umso mehr kann er selbst daran arbeiten, ein emotional neutraleres Verständnis für eine bestimmte Situation zu entwickeln und die eigenen Verhaltensmuster darin zu identifizieren. Er kann selbst eine Idee entwickeln, was er eigentlich innerhalb eines Beziehungssystems erreichen möchte. Dies ist die Grundlage für Veränderungsprozesse im ganzen System: arbeitet der Klient daran, sich mit diesem erworbenen Wissen anders als bisher in der Familie zu verhalten, verändern sich auch klinische Symptome der betroffenen Person oder in der Familie. Während das System auf den Klienten mit Gegendruck reagiert, lernt der Klient, diesem emotionalem Druck zu widerstehen und eine ausgewogene, neutrale und feste Grundposition zu vertreten. Wenn es gelingt, eine entscheidende Familienbeziehung besser funktionieren zu lassen, dann wird sich auch jede andere Familienbeziehung verändern.

“You can’t control a whole damn family, But you can control you. And anytime you can control you with it, The family is a healthier organism. So that is a reason to become a self. The more you can become a self, The healthier to family and to your advantage.”
Murray Bowen

PRAXIS Dr. med. Anke Tolksdorf · Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie · Maria-Viktoria-Str. 4 · 76530 Baden-Baden · Telefon: 07221-3923923 · info@praxisdrtolksdorf.de · www.praxisdrtolksdorf.de